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Alt 09.03.2006, 10:10
solarwarrior
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Das hier ist der Herr Müller. Der Herr Müller kommt aus Aretsried, das
liegt ganz im Süden von Deutschland, genauer gesagt im bayerischen
Regierungsbezirk Schwaben.

Der Herr Müller ist ein Unternehmer, und das, was in den Fabriken von
Herrn Müller hergestellt wird, habt ihr sicher alle schon mal gesehen,
wenn ihr im Supermarkt wart. Der Herr Müller stellt nämlich lauter
Sachen her, die aus Milch gemacht werden. Naja, eigentlich stellen die
Kühe ja die Milch her, aber die Angestellten von Herrn Müller verpacken
sie in bunte Plastikbecher und sorgen dafür, dass sie in den Supermarkt
kommen, wo ihr sie dann kaufen könnt.

Damit es im Regal nicht so langweilig aussieht, steht auf den Sachen
von Herrn Müller nicht überall ganz groß Müller drauf, sondern zum
Beispiel LC1, Weihenstephan, Esko, Loose, Sachsenmilch, Echter Harzer
oder Harzbube.

Weil der Herr Müller ein erfahrener Unternehmer ist, hat er sich
gedacht, er unternimmt mal wieder was und baut eine neue Fabrik. Und
zwar baut er sie in Sachsen, das ist ganz im Osten von Deutschland.
Eigentlich braucht gar niemand eine neue Milchfabrik, weil es schon
viel zu viele davon gibt und diese schon viel zu viele Milchprodukte
produzieren, aber der Herr Müller hat sie trotzdem gebaut. Warum, das
könnt ihr euch gleich denken, passt auf.

Weil die Leute in Sachsen ziemlich arm sind und keine Arbeitsplätze
haben, unterstützt der Staat dort den Bau neuer Fabriken mit Geld.
Arbeitsplätze gibt es nämlich im Gegensatz zu Milchprodukten immer viel
zu wenige. Also hat der Herr Müller einen Antrag gestellt, und kurze
Zeit später haben ihm dann das Land Sachsen und die Herren von der
Europäischen Union in Brüssel einen Scheck über 70 Millionen Euro
geschickt. 70 Millionen, das ist eine Zahl mit sieben Nullen, also ganz
viel Geld. Viel mehr, als in euer Sparschwein passt.

Der Herr Müller hat also seine neue Fabrik gebaut und 158 Leute
eingestellt.

Nachdem die neue Fabrik von Herrn Müller nun auch ganz viele
Milchprodukte hergestellt hat, hat er gemerkt, dass er sie gar nicht
verkaufen kann, denn es gibt ja schon viel zu viele Fabriken und
Milchprodukte. Naja, eigentlich hat er das schon vorher gewusst, und
auch die Herren vom Land Sachsen und der Europäischen Union haben das
gewusst, es ist nämlich überhaupt kein Geheimnis, sonst dürfte ich es
euch ja nicht erzählen.

Das Geld haben sie ihm aber trotzdem gegeben. Ist ja nicht ihr Geld,
sondern eures. Klingt komisch, ist aber so.

Also was hat er gemacht, der Herr Müller? In Niedersachsen, das ist
ziemlich weit im Norden, hat der Herr Müller auch eine Fabrik, die da
schon seit 85 Jahren steht. Weil er jetzt die schöne neue Fabrik in
Sachsen hatte, hat der Herr Müller die alte Fabrik in Niedersachsen
nicht mehr gebraucht, also hat er sie geschlossen, und 175 Menschen
haben ihre Arbeit verloren.

Wenn ihr in der Schule ein bisschen aufgepasst habt, dann habt ihr
sicher schon gemerkt, dass der Herr Müller 17 Arbeitsplätze mehr
abgebaut hat, als er vorher geschaffen hat. Und dafür hat er 70
Millionen Euro bekommen.

Wenn ihr jetzt die 70 Millionen durch 17 teilt - dafür könnt ihr ruhig
einen Taschenrechner nehme - dann wisst ihr, dass der Herr Müller für
jeden vernichteten Arbeitsplatz mehr als 4 Millionen Euro bekommen hat.
Da lacht er, der Herr Müller. Natürlich nur, wenn niemand hinsieht.
Ansonsten guckt er ganz traurig und erzählt jedem, dass es ihm in
Deutschland so schlecht geht, dass er sogar für ein paar Jahre in die
Schweiz gezogen ist.

Aber der Herr Müller sitzt ja nicht nur rum, sondern er sorgt auch
dafür, dass es ihm besser geht. Als alter Schwabe ist er nämlich
sparsam, der Herr Müller.

Sicher kennt ihr die Becher, in denen früher die Milch von Herrn Müller
verkauft wurden. Da passten 500 ml rein, das ist ein halber Liter. Seit
einiger Zeit verkauft der Herr Müller seine Milch aber in lustigen
Flaschen, nicht mehr in Bechern. Die findet jeder praktisch, weil man
sie wieder verschließen kann, und sie sehen hübsch aus. Allerdings sind
nur noch 400 ml drin, kosten tun sie aber dasselbe. Da spart er was,
der Herr Müller. Und Sparen ist eine Tugend, das wissen wir alle.

Wenn ihr jetzt fragt, warum solche ekelhaften Schmarotzer wie der Herr
Müller nicht einfach an den nächsten Baum gehängt werden, dann muss ich
euch sagen, dass man so etwas einfach nicht tut.

Wenn ihr aber das nächste Mal im Supermarkt seid, dann lasst doch
einfach die Sachen vom Herrn Müller im Regal stehen und kauft die
Sachen, die daneben stehen. Die schmecken genauso gut, sind meistens
billiger und werden vielleicht von einem Unternehmer hergestellt, für
den der Begriff »soziale Verantwortung« noch irgendeine Bedeutung hat.

Und warum viele Leute die Sachen von Herrn Müller als »Gen-Milch«
bezeichnen, und warum der Herr Müller sich darüber aufregt, aber nichts
in seinen Fabriken ändert, das erfahrt ihr vielleicht beim nächsten
Mal.
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