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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Gezeiten, was ist das eigentlich ?


rotbart
06.02.2008, 16:06
Gezeiten, was ist das eigentlich ?

Na ja Ebbe & Flut dürfte die Standardantwort sein, aber eine Navigator sollte schon ein bisschen mehr wissen, daher erst einmal die Begriffe

Wassertiefe :
Ist die von einem Schiff aus aktuell feststellbare Tiefe (Wasseroberfläche – Grund) etwa gemessen mit einem (Echo-) Lot.

Kartentiefe :
Der in der Seekarte (für diesen Ort) angegebene Tiefenwert, er ist bezogen auf das Kartennull.

Kartennull :
Zum Seekartennull siehe bitte hier http://www.bsh.de/de/Produkte/Infomaterial/Seekartennull/InfoLAT.pdf

Höhe der Gezeit :
Der Unterschied zwischen aktueller Wassertiefe und der (auf das örtlichen Kartennull bezogenen) Kartentiefe ist die Höhe der Gezeit (die natürlich auch negativ sein kann).

Tiefenangaben
In deutschen Seekarten ist die Tiefenangabe auf das Kartennull bezogen
Die TROCKENFALLHÖHEN (meist grün eingefärbte Flächen) sind ebenfalls auf das Kartennull bezogen und haben einen Minusstrich UNTER der Zahl.

HÖHENANGABEN (meist gelbe Flächen) sind auf das Normalnull der Landvermessung bezogen.

Hochwasser
Ist der Zeitpunkt des höchsten Wasserstandes

Niedrigwasser
Der Zeitpunkt des niedrigsten Wasserstandes ( oder auch der höchsten Trockenfallhöhe so so etwas vorkommt)

Gezeit (Tide) = Ebbe + Flut, also der gesamte Ablauf von NW bis NW

Der Mond und seine Anziehungskraft liefert den harmonischen Teil der Gezeitenereignisse und wir unterscheiden

Springzeit
Ist die Zeit von Vollmond oder Neumond (besonders hohe Gezeiten)

Nippzeit
Ist die Zeit des Halbmondes

Mittzeit
Sind die „normalen Gezeiten“ zwischen Vollmond / Neumond und Halbmond




Der Reihe nach kommen

Springzeit 4 Tage
Mittzeit 3 Tage
Nippzeit 4 Tage
Mittzeit 3 Tage

Und ein halber Mondumlauf ist geschafft.

Je nach Ort kann sich dies Verzögern, man spricht dann von einer SPRINGVERSPÄTUNG - ALSO DER Zyklus beginnt z.B. 3 Tage nach Beginn des Vollmondes, dann haben wir 3 Tage Springverspätung.

Nun ist es praktisch unmöglich für jeden beliebigen Punkt eine Gezeitenberechnung durchzuführen (warum sehen wir noch), die Gezeitentafeln gliedern sich daher in zwei Abteilungen :

1. Die Bezugsorte
dies sind relativ wenig Orte in Europe (Deutschland 13 Orte, ganz Europa ca. 50) für welche die Gezeiten möglichst genau vorausberechnet werden.
2. Anschlussorte
etwa 2000 solche Anschlussorte finden sich, samt Korrekturfaktoren, im Teil II der Gezeitentafel, mit hilfe dieser Korrekturfaktoren kommt man dann zu hilfreichen Gezeitenschätzungen für die Orte an die man eigentlich will.

Warum ist dies so kompliziert ?

Die Gezeitenberechnung zerfällt in zwei Teile, einen harmonischen Teil und einen nicht harmonischen. Der harmonische Teil ist leicht zu berechnen und wird durch die Mondbahn und einige weitere gut zu berechnende Parameter definiert (z.B. Nutation der Erdachse etc)
Diese Berechnungen kann man mit einen BASIC Programm heutzutage mit Taschenrechnern durchführen.

Der zweite Teil besteht aber aus Gleichungssystemen mit 30 und mehr Parametern, die leider nicht so einfach zu definieren sind. Hier spielen Küstenformationen aber auch der Seegrund und seine Veränderung (Kanal / deutsche Bucht) eine große Rolle, diese Parameter werden international erhoben (in D fährt z.B. permanent ein Schiff des BSH die Küsten ab um Sandverschiebungen am Grund zu messen.)

Die Daten werden zentral in Canada gesammelt und Forschern und den jeweiligen hydrographischen Ämtern zur Verfügung gestellt.

Die notwendigen Rechenoperationen sind aufwendig und die zugrunde liegenden numerischen Prozesse durchaus schwierig.

Um ein Bespiel zu geben, ein BASIC Programm, dass nur die harmonischen Teile für einen Bezugsort berechnet brauchte auf einen 386iger Prozessor nur wenige Sekunden um für 24 Stunden die Vorhersage für EINEN Bezugsort zu machen.

Ein Programm das bis zu 20 weitere Parameter verarbeitete (ebenfalls BASIC) auf dem gleichen PC (386) brauchte für die gleiche Vorhersage ca. 30 – 45 MINUTEN und danach musste man noch die numerische Richtigkeit checken.

Bis zum heutigen Tag braucht man für die Berechnung der Jahresvorhersagen leistungsfähige Computeranlagen.

Aber selbst diese Ergebnisse sind nicht richtig und allgemeingültig, Windeinflüsse können die Gezeiten und natürlich auch die Gezeitenströme gewaltig beeinflussen .

Änderungen der Küstenformation (Abbrüche von Steilküsten, vulkanische Veränderungen, Wanderung von Dünen) beeinflussen die Gezeiten, sodass die in der Gezeitentafel ausgedruckten Zahlen buchstäblich Schall und Rauch sind.

Um nun vorauszuberechnen, wann man eine Barre in der Flussmündung sicher überqueren kann ist daher mehr nötig, als nur auf das GPS gucken.

Doch davon ein anderes Mal.

rotbart
17.02.2008, 13:48
Gezeitenströme – muss man die eigentlich beachten ?

Seglern stellt sich diese Frage nicht, es lautet immer ja, aber auch mit einem Motorboot ist die Antwort JA und zwar aus zwei Gründen :

1. Um in küstennahen Gewässern die strömungsbedingte Versetzung berechnen zu können, und
2. um Treibstoff zu sparen und die ist massiver als man denkt,

so kann z.B. in der Elbe der Unterschied (mit und gegen den Strom) bis zu 9 Knoten betragen (etwa 16,7 km/h), was bei kleineren Booten die Fahrtzeit schlicht verdoppelt und natürlich auch den Benzinverbrauch deutlich erhöht.
Übrigens gilt dies natürlich auch für die Teile der anderen gezeiten-abhängigen Flüsse wie Jade/Ems , Weser etc.

Woher kommt das ?
Nehmen wir als Beispiel die Elbe, das HW in Cuxhaven (HWCx) tritt ca. 4h 4m Stunden vor dem HW in Hamburg ein, und die Wiederkehr in Cuxhaven liegt bei 12 Stunden und 25 Minuten.
Die Entfernung von Cuxhaven nach Hamburg beträgt rund 60 sm (= 111 km), wäre es überall auf dem Weg Stillwasser würde man es in 3 Stunden 45 Min schaffen, freien Weg und wenig Seegang vorausgesetzt. (bei 30 km/h)
In dieser Zeit ändert sich natürlich auch die Gezeit, damit wäre der einfachste Gedanke, einfach mit der HW Welle mitzufahren, da man mit 30 km/h ja genauso schnell ist wie die Welle selbst. Das ist auch eine vollkommen richtige Überlegung und kann man die 30 km/h durchhalten kommt man kurz vor Stillwasser in Hamburg an.

Noch besser ist es aber VOR der Welle herzufahren, wenn man 1 Stunde vor HWCx startet, so schieben ca. 3 Knoten Strom mit ca. 5,5 km/h zusätzlich und 1,x bis 2 kn bleiben während der Fahrt auf der ganzen Strecke erhalten, also haben wir eine etwa 10% bis 15% kürzere Fahrzeit.

Das genaue Gegenteil passiert, fahren wir los wenn die HW-Welle bereits in oder kurz vor HH ist, dann laufen in Cuxhaven ca. 4,5 kn gegen an (= ca. 8,5 km/h), sodass wir nun nur 30-8,5 = 21,5 km/h Geschwindigkeit über Grund haben.
Nicht nur dass sich die Fahrtzeit drastisch verlängert (und damit der Benzinverbrauch), sondern der Stromgeschwindigkeit steigt auch noch weiter flussaufwärts an, sodass im Verlauf 3kn Gegenstrom bis Brockdorf bleiben, die Situation bessert sich dann etwas, doch wird man mindest 20% länger unterwegs sein also etwa 4 ½ Stunden.

Flussabwärts von Hamburg nach Cuxhaven gilt das gleiche nur kommt hier natürlich noch die natürliche Fluß-Strömung hinzu, sodass der Zeitgewinn deutlich größer ausfällt.

ACHTUNG Hier sind keine Windeinflüsse berücksichtig worden, und die Zahlen gelten für Mittzeiten, Nipp- und Springzeiten verändern die Zahlen natürlich.

Wie berechnet man die beste Abfahrzeit ?
Na ja es gibt Gezeitentabellen und Strömungskarten und für die Flüsse gibt es wieder Nomogramme mit welchen man so etwas ausrechnen kann. Für Leute, die nicht so gut mit der Navigation oder mit der Mathematik auf Du und Du sind gibt es drei Möglichkeiten
a) die Grib Daten des BSH herunterladen und im PC ansehen (leider nicht für den Flusslauf vorhanden).
b) Früher gab es mal Stromscheiben (siehe Bild), da Busse+Seewald aber keinen Wassersport mehr machen, weiß ich nicht ob es die Scheiben noch gibt (siehe Bild)
c) Sich von einem guten Bekannten/Freund (mit guten Mathe-Kenntnissen) ein Nomogramm zeichnen lassen.:ka5: :ka5:

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Nachtrag

So könnte ein Diagramm aussehen (ACHTUNG dies ist nicht aktuell)
entnommen dem Werk "Die Elbe" des Hamburger Segel-Club e.V. 1958